Am 23. Mai 1949 wurde das Grundgesetz in Bonn verkündet. In vielen Veranstaltungen der letzten Monate wurde schon an dessen Bedeutung und die Hintergründe erinnert.
In diesem Zusammenhang wollen wir auf den Namen einer Straße bei uns im Stadtteil aufmerksam machen:
Ohne Elisabeth Selbert (1896 – 1986) wäre manches im Grundgesetz nicht so klar formuliert worden, wie wir es kennen. Sie gilt als eine der vier „Mütter des Grundgesetzes“.
Man muss es sich vor Augen halten: Erst wenige Wochen vor ihrer Geburt 1896 hatte das Deutschen Kaiserreich den sogenannten „Gehorsamsparagraphen“ im Bürgerlichen Gesetzbuchs beschlossen. Da war zu lesen: "Dem Manne steht die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu". Eine Bestimmung mit weitreichenden Auswirkungen auf das Familienrecht und ganz allgemein die Frauenrechte!
Mit Gründung der Weimarer Republik gut 20 Jahre später kam zumindest schon mal das Wahlrecht für Frauen (1918). Elisabeth Selbert trat in die Politik ein: Sie wurde Mitglied der SPD, war eine der ersten gewählten Kommunalpolitikerinnen Deutschlands und wurde Delegierte bei der ersten Reichsfrauenkonferenz in Kassel (1920). Schon damals formulierte sie ein politisches Lebensziel: "Wir müssen nun dahin wirken, dass die Gleichberechtigung in der Praxis bis zur letzten Konsequenz durchgeführt wird."
Parallel ihre Erkenntnis: Um mitzureden, braucht es Bildung. Aber die war ihr in jungen Jahren verwehrt worden. Also holte sie das Abitur im Selbststudium nach (1925): Parallel zur Arbeit in einem Telegraphenamt und zur Betreuung des eigenen Kindes. Mit Anfang 30 dann zusätzlich ein Jura-Studium, was für Frauen erst seit 1922 möglich war. In ihrer Dissertation kritisierte sie das geltenden Scheidungsrecht und formulierte Ideen, die teilweise erst 50 Jahre später (1977) umgesetzt wurden.
Noch kurz bevor sich die NS-Herrschaft in Deutschland durchsetzen konnte, wurde sie als Anwältin zugelassen. Es wurde auch die Basis für den Unterhalt ihrer Familie, denn ihr Mann - Adam Selbert – wurde politisch verfolgt, verlor sein Arbeit und wurde zeitweise im KZ gefangen gehalten.
Nach dem Zusammenbruch der NS-Herrschaft wurde Elisabeth Selbert als eine von nur vier Frauen in den Parlamentarischen Rat für das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland gewählt (mit gleichzeitig 61 Männern). Gegen einige Widerstände setzte sie dort u.a. für den grundlegenden Passus durch, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind (bis dahin galten noch die Regeln der Kaiserzeit).
Mit diesem eindeutigen und verbindlichen Grundsatz musste der Gesetzgeber diverse familienrechtliche Bestimmung neu formulieren. Wobei man die Umsetzung teilweise durchaus zögerlich nennen kann. Ein Beispiel: Bis Juni 1958 musste eine Frau in Deutschland die Zustimmung ihres Ehegatten einholen, um einen Führerschein zu machen.
Elisabeth Selbert blieb über drei Wahlperioden im Hessischen Landtag (bis Ende der 1950er Jahre) und war 1958 sogar im Gespräch für das Amt als erste Richterin am Bun-desverfassungsgericht.
Im Jahr 2021, also 125 Jahr nach ihrer Geburt, würdigte Bundespräsident Steinmeier ihr Leben bei einem Festakt in ihrer Geburtsstadt Kassel u.a. mit den Worten: „Es ist Elisabeth Selberts historisches Verdienst, die Überwindung der männlich dominierten Gesellschaft eingeleitet zu haben – auch wenn manche Reform noch lange auf sich warten ließ, auch wenn jede einzelne immer noch hart erkämpft werden musste und auch heute weiterhin erkämpft werden muss.“
Eine Liste aller Straßennamen in Betzenhausen mit Hintergründen ist auf der Web-Seite des Bürgervereins zu finden. Siehe
https://betzenhausen-bischofslinde.de/strassen-von-betzenhausen